Héshang dǎsǎn –– wú fà wú tiān.
Ein Mönch mit Schirm — kein Haar und kein Himmel
Ein oft zitierter Satz aus Edgar Snows Interview mit dem Kommunistenführer Máo Zédōng (毛泽东) vor dem ersten Besuch eines US-Präsidenten in China entpuppte sich im Nachhinein als Fehlübersetzung. 1971 schrieb Snow, Mao sehe sich als „einsamen Mönch mit einem löchrigen Regenschirm“ (和尚打伞 héshang dǎsǎn). Da Maos Dolmetscherin die Anspielung auf das bekannte Sprichwort nicht erkannte, übersetzte sie seine Worte als „ein einsamer Mönch, der die Welt mit einem undichten Schirm durchwandert“.
Edgar Snow folgerten daraus, dass Mao sich für einen tragischen Einzelgänger hielt. In Wahrheit aber wollte Mao deutlich machen, dass er selbst Gott und Gesetz sei: wúfǎ wútiān (无法无天).
Erst 1990 wurde dieses Missverständnis von einem Historiker, der bei dem Interview anwesend war, klargestellt. Mao hatte den ersten Teil eines zweiteiligen Sprichworts zitiert und sich als „buddhistischen Mönch mit Schirm“ bezeichnet. Der zweite Teil, den Mao nicht ausgesprochen hatte, lautet „hat weder Haar noch Himmel“ (无发无天wúfà wútiān).
Ein buddhistischer Mönch hat ein kahlgeschorenes Haupt, der Schirm nimmt ihm die Sicht auf den Himmel. Das im ersten Teil beschriebene Bild dient lediglich als Aufhänger für ein Sprachspiel, das auf den ähnlichen Klang von „Haar“ (发 fà) und „Gesetz“ (法 fǎ) beruht. Es bedeutet „irdischen und himmlischen Gesetzen trotzen“.
Mao fühlte sich also keineswegs einsam, sondern verwies scherzhaft auf seine uneingeschränkte Macht. Das Bild des „einsamen Mönchs, der die Welt mit einem löchrigen Regenschirm durchwandert“ verselbstständigte sich indes und ist auch Jahrzehnte später in der westlichen Presse anzutreffen.
Vokabeln:
和尚héshang Mönch | 打 dǎ schlagen, aufschlagen | 伞 sǎn Schirm | |
无 wú nicht haben (Langzeichen: 無) | 发 fà Haar (klingt ähnlich wie法 fǎ Gesetz) | 无 wú nicht haben | 天 tiān Himmel |