Flucht aus Nordkorea und heute Menschenrechtsaktivistin – Impressionen einer Online-Sitzung mit Jihyun Park

Buchtitel: THE HARD ROAD OUT
Buchtitel: THE HARD ROAD OUT

Jihyun Park teilte im Mai 2022 über eine Online-Sitzung mit Studierenden des Ostasieninstituts und externen Gästen ihre Lebensgeschichte. Unsere Lehrkraft für Koreastudien, Shiny Park, übersetzte den Vortrag. (Lesezeit ca. 7 Minuten)

Jihyun Park ist eine vielfältige und starke Persönlichkeit: Kommunalpolitikerin, Sachbuchautorin, Menschenrechtstaktivistin und nordkoreanischer Flüchtling. Sie hat es geschafft, gleich zweimal aus Nordkorea zu fliehen, lebt heute mit ihrer Familie mit britischem Pass in einer kleinen Gemeinde bei Manchester und engagiert sich für ihre Nachbarn und MitbürgerInnen in der Politik. Trotz ihrer vielen qualvollen Erfahrungen ist sie ein fröhlicher Mensch mit einem herzlichen Lachen, zwei Stunden berichtete sie Studierenden des Ostasieninstituts und externen Gästen über ihr Leben und beantwortete bereitwillig Fragen.

Jihyun Park wurde in den 1960er Jahren in Nordkorea in der nördlichen Industriestadt Chongjin geboren und verbrachte bei ihrer Großmutter eine recht schöne Kindheit, an die sie sich heute immer wieder gerne erinnert, lange Jahre verbat sie sich aus Selbstschutz Erinnerungen an ihre Vergangenheit. Ihre Liebe zur Mathematik durfte sie zum Beruf machen und sie wurde Mathematiklehrerin. Dem Publikum beschrieb Jihyun eindrucksvoll ihre Erfahrungen aus dem nordkoreanischen Schulalltag. Schon kleinste Krippenkinder wachsen für ein Leben als nordkoreanischer Staatsbürger mit der absoluten Unterwerfung unter der Familie Kim auf. Kim Il Sung, Gründer Nordkoreas und Vater der Nation, sei für jegliche Gaben wie Essen, Kleidung und Bildung direkt zu danken, er allein versorge die Nation mit allem Nötigen, so lernen in Nordkorea jeden Tag die Jüngsten. Jede Bildungsstätte verfüge über einen besonderen Raum, „Das Zimmer der Revolution“, hier bewundern die Kinder Ausstellungsstücke zu den Heldentaten der Familie Kim, nur mit besonderen Schuhen darf man diesen Bereich betreten um die heilige Stätte nicht zu verschmutzen. Später im Grundschulalter beginnt die Selbstkritik, die schließlich in offene Kritik an andere mündet. So entstehe eine Gesellschaft, die schon in jungen Jahren niemanden vertraue, sich gegenseitig überwacht und auch ohne Zögern an die Behörden verrät.

Nordkorea, so hätten sie alle gelernt, sei das Paradies auf Erden, alle anderen Nationen würden in Elend und Schrecken vegetieren, die USA und Südkorea wären das Böse und müssten grundsätzlich ausgerottet werden. Krieg und Gewalt durchdringt jeglichen Alltag. So lernen die Kleinen nicht das Rechnen mit Äpfeln und Nüssen sondern mit Soldaten und Waffengebrauch: „Wenn dich zehn amerikanische Soldaten angreifen und du fünf erschossen hast, wie viele Soldaten muss dein Kamerad erschießen?“ Gewalt und Schrecken wären so immer ein konstanter Teil des Alltags in Nordkorea, erzählt Park und lacht bitter.

Jihyun Park
Jihyun Park

Als Mitte der 1990er Jahre die großen Hungersnöte ausbrachen, die Sowjetunion war zusammengebrochen und es gab keine Wirtschaftshilfe mehr, verlor auch die Familie von Jihyun Park den Glauben an ihr „Paradies“ Nordkorea. Ihre Heimatstadt Chongjin wurde besonders hart getroffen, heute geht man davon aus, dass mindestens 20 % der Bevölkerung verhungert ist. Der jüngere Bruder wurde zur Armee eingezogen und sollte Gelder zahlen, die die Familie nicht aufbringen konnte. Der Vater riet seinen Kindern daher zur Flucht nach China. Er hatte gehört, dass ihr Nachbarland ebenso nach kommunistischer Vollkommenheit strebe, dort aber sogar Schweine und Hunde besser ernährt seien als die Menschen in Nordkorea. Park und ihr Bruder machten sich im Winter auf den Weg zur Grenze, Jihyun im LKW mit Hilfe bestochener Fahrer, der Bruder zu Fuß weil nach ihm schon gefahndet wurde. Gemeinsam liefen sie über den gefrorenen Grenzfluss Tuman, auf halbem Weg eröffneten nordkoreanische Grenzsoldaten das Feuer auf sie. „Es war wie in einem Film, sie schossen auf uns und wir rannten einfach weiter“. Bruder und Schwester schafften es in die chinesische Provinz Jilin, dort leben viele ethnische Koreaner. Sie wollten weiter nach Südkorea und wandten sich an einen der vielen Broker, die eine sichere Weiterreise garantieren sollten. Doch es kam anders, der Bruder wurde festgenommen und wahrscheinlich nach Nordkorea zurückgeschickt.  Seit 20 Jahren weiß Jihyun nicht, ob er noch lebt. Jihyun selbst wurde für 5.000 Yuan an einen chinesischen Bauern verkauft. Umgerechnet 700 Euro bezahlte der Mann für seine neue Frau. Das sei nicht ungewöhnlich und ein offenes Geheimnis, die chinesischen Bauern in der verarmten Grenzprovinz seien stolz darauf, sich diese Summe leisten zu können und die geflüchteten Nordkoreanerinnen können sich nicht wehren. Wenden sie sich an die chinesische Polizei, werden sie sofort zurückgeschickt, denn es herrscht ein Abkommen zur sofortigen Ausweisung an das jeweilige Heimatland.

Jihyun wurde mehrere Jahre als kostenlose Magd mit schwerster Arbeit von ihrer neuen Familie ausgebeutet, sie bekam einen Sohn und eines Tages wurde sie verraten. Die Polizei holte sie ab und sie kam in ein besonderes Lager für geflüchtete Nordkoreaner in Grenznähe. Hier musste Jihyun nicht nur Hunger und Kälte sondern auch sexuellen Missbrauch ertragen bis sie schließlich nach Nordkorea überstellt wurde. Das Arbeitslager allein für Frauen erschien ihr anfangs besser, aber dann quälten sie auch dort Ungeziefer, Krankheiten und ein unmenschliches Arbeitspensum. Bei der Beschreibung, wie Schwangere und Neugeborene misshandelt und getötet wurden, rang auch unsere übersetzende Lehrende mit den Worten, es fiel ihr sichtlich schwer, die Fassung zu bewahren.

2004 verletzte sich Jihyun im nordkoreanischen Arbeitslager so schwer, das man sie zum Sterben entließ. Das war ihre Chance, ein zweites Mal die Flucht zu versuchen, sie wollte zu ihrem Sohn. Trotz ihrer schweren Beinverletzung schaffte sie es zurück nach China. Diesmal ließ sie sich bewusst auf einen Broker ein, der sie erst verkaufen sollte, sie dann aber laufen ließ. Mutter und Sohn fanden sich tatsächlich wieder und Jihyun schlug sich ein paar Jahre mit ihrem Kind in China und in der Mongolei illegal durch. Ihr Ziel war weiterhin Südkorea, aber da sie über keinerlei Papiere verfügten, schien ihr jeder Weg verbaut. Bis sie einen südkoreanischen Pastor kennenlernte, der ihren Fall bei der UNO meldete.

Endlich wendete sich ihr Schicksal, die UNO ermöglichte Jihyun und ihrem Sohn die freie Wahl, in welches Land sie als Flüchtling gebracht werden möchten. Da Jihyun noch niemals zuvor von der UNO gehört hatte und weiterhin Sorge hatte, zurück nach Nordkorea geschickt zu werden, wagte sie es nicht, Südkorea als neue Heimat anzugeben. Sie wählte stattdessen England, das erschien ihr weit genug weg und war England nicht das Land in dem einst das Proletariat entstanden sei und daher ein guter Ort sein musste? So hatte es sie selbst noch in der Schule in Nordkorea gelernt und das gab ihr ein wenig Zuversicht für einen Neustart. 2009 erreichten die beiden ihre neue Heimat und ein neues Leben begann.

Die Studierenden möchten in der abschließenden Fragerunde wissen, was sie anfangs am meisten in England schockiert hätte. Jihyun lacht zum ersten Mal richtig fröhlich während des langen Zoom-Gesprächs und berichtet, dass die Sprache sehr schwer für sie gewesen sei und es viele Missverständnisse gegeben hätte, aber was sie wirklich entsetzt hatte, war die Gelassenheit der Menschen, wie sie Zeitungen mit dem Bild der Queen einfach in den Müll geworfen hätten. Wirft man eine Zeitung mit dem Bild der Führer Nordkoreas in den Abfall, bedeutet das Straflager, wenn nicht sogar den Tod. Einmal gab sie aus Unwissenheit an, dass sie homosexuell sei und war verwundert, als man sie aufklärte. In Nordkorea ist Sexualität ein Tabu, Homosexualität ist offiziell schlichtweg unbekannt. Das neue Leben in Manchester bot immer neue Überraschungen und Hürden für sie, aber das störte sie nicht wirklich, sie hatte ihren Sohn bei sich und heiratete ihren heutigen Mann, ebenfalls ein nordkoreanischer Flüchtling. Jihyun bekam zwei weitere Kinder, besitzt heute die britische Staatsangehörigkeit und kandidiert für den Stadtrat. Ihr Engagement gilt vor allem der Wertschätzung von Demokratie und Freiheit. Für dieses Gut verließ Jihyun Park vor 14 Jahren endgültig ihre Familie, ihre Freunde und ihr Land. Dafür will sie weiter einstehen, alle Menschen, so Jihyun Park, sollten diese fundamentalen Eigenschaften für sich in Anspruch nehmen können.

Das Leben war für Jihyun Park nicht einfach, es war grausam und ungerecht, wie wir in zwei Stunden Gespräch mit der sprachlichen Unterstützung unserer Dozierenden Shiny Park erfahren haben. Jihyun lebt weiterhin mit der Unsicherheit, ob es ihrer Familie in Nordkorea gut geht oder ob sie unter ihrer Flucht haben leiden müssen. Aus Sorge um Repressalien kann sie niemanden kontaktieren oder unterstützen. Trotzdem will sich Jihyun Park nicht mehr verstecken und hat über ihre Flucht ein Buch geschrieben um die Welt und uns daran zu erinnern, dass es nicht selbstverständlich ist, in Freiheit zu leben. Das Ostasieninstitut und seine Studierenden danken Jihyun Park, dass sie sich uns auf so persönliche und sicherlich belastende Weise geöffnet hat. Es war eine kostbare Erfahrung für alle Teilnehmenden.

Buchtitel: THE HARD ROAD OUT
Buchtitel: THE HARD ROAD OUT

„The Hard Road Out: One Woman`s Escape from North Korea“ von Jihyun Park und Seh-lynn Chai wird im Januar 2023 bei HarperNorth erscheinen

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