HWG Ludwigshafen goes India!

Von Prof. Dr. Manuel Vermeer

2 Wochen Doing business in Indien, Vorlesungen, Firmenbesuche und Sightseeing im Februar 2024: Das war mein Angebot, und 19 Studierende der HWG sowie mein Kollege Frank Rövekamp fanden es spannend genug, um zuzusagen! Ich lehre seit einigen Jahren an der Somaiya University in Mumbai, einer privaten Hochschule im Zentrum der 25-Mio.-Einwohner Metropole Mumbai (auch unter dem früheren englischen Namen Bombay bekannt). Auf Wunsch der Hochschule unterstützte ich sie beim Aufbau eines Master Studiengangs Chinese Studies und so kam es zur Idee einer gemeinsamen Winter School, nachdem ich bereits zweimal mit kleineren Gruppen Studierender zu kürzeren Aufenthalten in Mumbai gewesen war, davon einmal mit meiner Kollegin Prof. Edith Rüger-Muck.

Wir wohnten 2 Wochen im Student Hostel der Uni und nahmen meist auch dort unsere Mahlzeiten zusammen mit den indischen Studierenden ein. Also einfaches, aber schmackhaftes und gesundes Essen, ausschließlich vegetarisch, da der gesamte Campus alkohol- und fleischfrei ist.

Unser Zimmer im Hostel

Für die erste Woche hatte ich Vorlesungen zu Landeskunde, Finanzen, Recht, Marketing und mehr geplant; auch ein Sprachkurs Hindi, eine Einführung in den indischen Nationalsport Cricket und morgendliches Yoga (1 Stunde täglich ab 7 Uhr!) standen auf dem sehr dichten und durchaus herausfordernden Programm. Abends erkundeten wir, meist in kleinen Gruppen, die unglaublich lebendige, vielfältige und erfreulich multikulturelle Stadt –  Mumbai never sleeps! Jeder Tag brachte neue Erkenntnisse und damit auch den Abschied von negativen Vorurteilen!

Indischer Tanz unserer Studentinnen!

Wir fuhren mit den berüchtigten lokalen Zügen (die aber separate Waggons „Ladies only“ haben!), probierten Streetfood und frisch gepressten Zuckerrohrsaft; wir fütterten heilige Kühe (glückverheißend!) und besuchten Hindutempel. Am Wochenende erkundeten wir einen der größten Slums der Welt – Dharavi. Hier leben fast 1 Mio. Menschen auf gerade einmal 3 Quadratkilometern; ein Business Hub eher als ein Slum: Geschäfte, Fabriken, Recycling, Restaurants – und stets wurden wir mit großer Herzlichkeit und Offenheit begrüßt, mit einem fröhlichen Lächeln! So hatten sich die Studierenden Indien nicht vorgestellt. Nicht gefährlich, nicht Elend und Armut allgegenwärtig, nicht ständig von Krankheiten bedroht –  sondern offen, herzlich, lebendig, bunt, mit einem Optimismus und einer Begeisterung für die Zukunft, die wir in Deutschland selten erleben. Höchste Zeit, sich von Vorurteilen zu verabschieden!

Aufgeschlossene und freundschaftliche Gespräche in den Straßen Dharavis

In der zweiten Woche standen Unternehmensbesuche auf dem Programm. Nach dem Besuch eines rein indischen Pharmakonzerns und einer überwiegend in japanischem Besitz befindlichen Produktionsstätte von Büromaterialien hatten wir durch einen der Mitreisenden die spannende Möglichkeit, im nahegelegenen Pune die indische Produktionsstätte eines deutschen Mittelständlers, Eirich, zu besichtigen. Hochinteressant für die Studierenden vor allem der Vergleich dieser drei Unternehmen hinsichtlich der Produktionsabläufe, Qualitätsstandards und Supply Chain.

Ein weiteres Highlight war die Möglichkeit, live am Set den Dreh eines indischen Films mitzuerleben! Kein typischer Bollywoodfilm mit einem der großen Stars, sondern ein Historiendrama, welches nächstes Jahr zu sehen sein wird. Wir durften hautnah während des Drehens einzelner Szenen dabei sein und erfuhren Details über die Traumfabrik Bollywood.

Der Guide erklärt die Abläufe vor Ort

Ein Höhepunkt der Winter School war die außerordentliche Ehre eines Empfangs bei der Indischen Handelskammer, der Indian Merchant Chamber, unter ihrem Präsidenten Herrn Samir Somaiya. Seine Familie führt die Somaiya University als Stiftung und lebt in besonderer Weise die Maxime des Gründers: Nur Bildung befreit! Der gesamte Vorstand der Kammer war anwesend und es entspann sich eine angeregte und sehr offene Diskussion über Indiens Zukunft, über Schwerpunkte der Entwicklung wie auch über die noch vorhandenen Defizite und Baustellen hinsichtlich Infrastruktur, Energie und Nachhaltigkeit. Ein große Ehre, dass eine Studierendendelegation aus Deutschland dermaßen freundlich und hochrangig empfangen wurde!

Empfang der Handelskammer/Indian Merchant Chamber

Aber wir nahmen nicht nur an Vorlesungen und Unternehmensbesuchen teil, sondern mein Kollege Frank Rövekamp und ich konnten auch den indischen Studierenden etwas anbieten. Er hielt eine Vorlesung zu „Asia’s Economic Future and India’s Role“, welche auf reges Interesse stieß, und ich sprach in der Chinesischabteilung über kulturspezifische Probleme bei Übersetzungen und berichtete von meinen Erfahrungen als Chinesisch-Dolmetscher für die deutsche Bundesregierung. Auch stellte ich eine KI-basierte Übersetzungssoftware für Chinesisch vor, die auch am OAI bereits eingesetzt wurde. Wir beide wurden, wie auch einige der Studierenden, mehrfach zu Interviews gebeten und mit der Kamera bei unseren Aktivitäten begleitet.

Prof. Dr. Frank Rövekamp (Mitte) nach seiner Vorlesung „Asia’s Economics Future and India’s Role“

Zu einem großen Abschiedsessen lud uns schließlich der Dekan des K J Somaiya Institute of Management, Herr Raman Ramachandran, ein, der Ludwigshafen aus seiner Zeit als Head of BASF Group Companies in South Asia gut kennt! Der perfekte Abschluss zweier großartiger Wochen voller neuer Erfahrungen, überraschender Einsichten, nur leichter Magenprobleme J und vor allem, dem Abbau vieler Vorurteile!

Ich selbst reise seit vielen Jahren nach Indien, und die Veränderungen sind beeindruckend. Indien ist seit 2023 das bevölkerungsreichste Land der Erde, das Wirtschaftswachstum liegt bei über 6% und wird auch für die kommenden Jahre mindestens in dieser Dimension prognostiziert, die Start-up Szene ist unfassbar vielfältig, das ganze Land ist von einem sehr positiven Mindset erfüllt. In unseren Medien dagegen wird, wenn überhaupt, oft kritisch oder gar negativ berichtet; wir lesen von Slums, Korruption und Chaos. All das gibt es, aber es gibt eben auch das andere Indien, das dynamische und (deutlich umfassender als Deutschland!) digitalisierte Indien auf dem Sprung zur nächsten Weltmacht. Wenn diese 2 Wochen unseren Studierenden die Augen dafür etwas geöffnet haben, dann waren sie gut investiert. Die geopolitische Relevanz Indiens wird zunehmend evident, gerade im Spannungsfeld zwischen China, den USA und Russland!

Wir erfuhren seitens der Somaiya University eine große Gastfreundschaft, ein tolles Engagement der Dozenten wie auch der Studierenden, und ein großes „Shukran“ an dieser Stelle dafür, stellvertretend für alle Teilnehmer der Winter School! Das Ostasieninstitut wird seine Indienkompetenz ausbauen, zunächst mit mehr Vorlesungen und Informationen zum Thema. Weitere Winter Schools sind angedacht und auch eine tiefergehende Kooperation mit der Somaiya University ist durchaus denkbar. Aber das ist noch Zukunftsmusik, erst einmal muss all das aufgearbeitet und verdaut werden, was wir in 2 Wochen Mumbai erleben durften. Wie gut es allen in Indien gefallen hat, lässt sich sicher am besten daran ablesen, dass fast alle Teilnehmer ihren Aufenthalt verlängerten! Manche nur wenige Tage als Reise zum weltberühmten Taj Mahal, andere fuhren nach Goa südlich von Mumbai oder nach Rishikesh im Himalaya; selbst Zugreisen nach Rajasthan, Kolkata oder eine Motorradtour ins Landesinnere wurden spontan geplant!

Indien fasziniert. Ich freue mich auf die nächste Reise mit Studierenden und Lehrenden des OAI und der ganzen HWG Ludwigshafen (na gut, nicht der ganzen…)!

Die Aussage eines meiner Studenten hat mich besonders beeindruckt und sollte allen, die in Deutschland noch immer auf Indien herabblicken, zu denken geben. Sinngemäß sagte er:

„Als ich hierher nach Indien kam, war ich mir sicher, dass Indien noch viel von Deutschland lernen kann. Jetzt sehe ich, was Deutschland von Indien lernen kann!“

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