Yu Gong versetzt Berge. 愚公移山。

Yú Gōng yí shān.

In alten Zeiten lebte in einem Dorf im Norden Chinas ein Greis, namens Yú Gōng (愚公, der dumme Alte). Das Dorf war sehr klein und hatte nicht einmal einen Namen. Es lag in einem engen Tal, umgeben von hohen Bergen.

Kaum einer der Dorfbewohner war jemals aus dem engen Tal herausgekommen. Nur der Bürgermeister Zhì Sǒu (智叟, der alte Schlaukopf) war jemals aus dem Tal herausgekommen.

Yú Gōng ärgerte sich darüber, dass der Weg, der von seiner Haustür nach Süden führte, von zwei großen Bergen versperrt war und sagte zum Bürgermeister: „Ich werde gemeinsam mit meinen Söhnen diese Berge abtragen.“

Zhì Sǒu brach in schallendes Gelächter aus und sagte: „Da müsst ihr ja dreihundert oder vierhundert Jahre alt werden. So etwas Dummes habe ich schon lange nicht mehr gehört.“

Yú Gōng aber blieb ernst und antwortete: „Sterbe ich, bleiben meine Kinder; sterben meine Kinder, bleiben die Enkelkinder, und so werden sich die Generationen in einer endlosen Reihe ablösen. Diese Berge sind zwar hoch, aber sie können nicht mehr höher werden; um das, was wir abtragen, werden sie niedriger: Warum sollten wir sie da nicht abtragen können? Wir müssen endlich begreifen, dass uns nur dann geholfen ist, wenn wir uns selbst helfen.“

Der Bürgermeister und alle Bauern hielten ihn für übergeschnappt, aber am nächsten Morgen machte sich Yú Gōng in aller Frühe mit seinen Söhnen voller Eifer daran, die Berge abzutragen. Sie arbeiteten den ganzen Sommer über und langsam verstummte der Spott. Man hatte sich an den Verrückten gewöhnt. Die Ernte war schlecht, denn seine Frau hatte die Felder alleine zu bestellen. Im Frühjahr ging die Arbeit weiter und man hielt Yú Gōng immer noch für schwachsinnig, aber die Verbissenheit, mit der er und seine Söhne die Berge abtrugen, beeindruckte die Anderen doch allmählich.

Auch der Jadekaiser im Himmel wurde auf Yú Gōng aufmerksam und schickte zwei Engel, die die Berge davontragen sollten: „Ich befehle den drei Bergen und fünf Gipfeln: ‚Macht Platz!‘“

Máo Zédōng (毛泽东) erzählte diese Geschichte 1945 und fügte hinzu: „Gegenwärtig lasten ebenfalls zwei große Berge schwer auf dem chinesischen Volk. Der eine heißt Imperialismus, der andere Feudalismus. Die Kommunistische Partei Chinas ist schon längst entschlossen, diese beiden Berge abzutragen. Wir müssen unseren Entschluss beharrlich in die Tat umsetzen, und wir werden die Gottheit ebenfalls rühren; und diese Gottheit ist niemand anderer als die Volksmassen Chinas. Und wenn sich das ganze Volk erhebt, um mit uns zusammen diese Berge abzutragen, sollten wir sie da etwa nicht abtragen können?“

(Rüdiger Kremer: Die Geschichte von Yü-gung oder wie man Berge versetzen kann. Ravensburg: Otto Maier Verlag, 1983. ISBN 3-473-38852-1)

Verwendung:

Was wollte uns Mao mit dieser Geschichte lehren? Ihm ging es doch sicher nicht darum, uns ein unterhaltsames Märchen zu erzählen. – Nein, er wollte sagen: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

Xu Beihong yugongyishan
Yu Gong versetzt Berge, gemalt 1940 in Indien vom Pferdemaler Xú Bēihóng (徐悲鸿)

Vokabeln:

愚 yú dumm 公 gōng alter Mann
移 yí ändern, entfernen 山 shān Berg

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